Quotenspielraum nutzen, bevor sich das Fenster schliesst
An verschiedenen Immobilienmärkten, aber insbesondere in Deutschland wird sich in den kommenden Monaten ein grosses Opportunitätsfenster für günstige Zukäufe auftun – oder hat sich bereits geöffnet. Viele institutionelle Investoren aus der Schweiz scheinen sich diese Entwicklung aber nur von der Seitenlinie anschauen zu wollen. Dabei ginge es nun darum, sich in Position zu bringen und die sich ergebenen Chancen zu nutzen. Als wichtiges Argument dagegen werden häufig die ausgeschöpften Immobilienquoten angeführt. Doch greift das nicht zu kurz? Sollten nicht besser aktiv Möglichkeiten geschaffen werden, als passiv hinter dem Schutzwall von Quoten und Regulierung abzuwarten?
Dass die Immobilienquoten in vielen institutionellen Portfolios die gewählten oder regulatorischen Grenzen bereits erreicht oder teilweise sogar überschritten haben, steht ausser Zweifel. In der jahrelangen Niedrigzinsphase wurde das Immobilien-Exposure zum Teil massiv ausgebaut, weil die regelmässigen Cashflows als geeignetes Substitut für Obligationenerträge galten.
Ohne einen neuen Franken die Immobilienquote gerissen
Mit den Kursrückgängen an den Aktien- und Anleihemärkten im Jahr 2022 trat der sogenannte Denominator-Effekt zutage: Die Immobilienquote stieg (ungewollt) weiter, ohne dass ein einziger Franken neu in Immobilien investiert worden wäre, einzig weil die Anteile der anderen Assetklassen relativ zu den Immobilien an Wert verloren. Durch diese passiven Wertverschiebungen sieht sich nun mancher Investor mit einer ausgeschöpften oder gar überhöhten Immobilienquote konfrontiert. Ohne anderslautende Vorgaben gilt für schweizerische Pensionskassen zum Beispiel höchstens 30 Prozent in Immobilien zu investieren, davon maximal ein Drittel im Ausland.
Vor diesem Hintergrund scheint es zunächst einmal nicht umsetzbar, bei sich bietenden Opportunitäten zuzugreifen und weitere Immobilieninvestments – sei es direkt oder über Fonds – zu tätigen. Ihnen sind scheinbar die Hände gebunden. Das ist ausgerechnet in einer Marktphase wie dieser, in der man antizyklisch agieren könnte, sehr ungünstig.
Keiner will, aber manche müssen verkaufen
Nach vielen Jahren, in denen die Immobilienpreise von Rekord zu Rekord geeilt sind, wird es in den kommenden Monaten relativ günstige Kaufangebote am Markt geben. Warum? Verlieren die Immobilienmärkte etwa an Attraktivität? Keineswegs, strukturell sind und bleiben Immobilien im DACH-Raum oder auch in den USA höchst attraktiv. Denn die Nachfrage vor allem nach Wohnimmobilien in den grossen Städten steigt und steigt und kann durch Neubau nicht gedeckt werden. In Deutschland ist man weit von dem Ziel entfernt, die 400’000 neuen Wohnungen pro Jahr zu fertigzustellen, die sich die Bundesregierung vorgenommen hatte. In der Schweiz, in den USA oder in Österreich ist es im Grundsatz nicht anders. Raiffeisen-Chefvolkswirt Martin Neff warnt sogar vor Wohnungsnot in der Schweiz.
Am Potenzial für die Cashflows hat sich ebenfalls nichts geändert. Ja, die Renditeerwartungen sind gestiegen, was zum Teil etwas niedrigere Bewertungen zur Folge hat. Aber die Immobilie als Assetklasse an sich ist nicht der entscheidende Faktor für das sich ergebende Opportunitätsfenster, sondern die spezifische Situation vieler Eigentümer.
Spätestens Mitte 2024 schliesst sich das Fenster wieder
Grosse Bestandshalter müssen in den kommenden Monaten zum Teil Milliarden an auslaufenden Verbindlichkeiten wie Bankdarlehen oder Anleihen refinanzieren, aufgrund der Zinswende aber zu deutlich teureren Konditionen. Mitunter wird das benötigte Fremd- und Eigenkapital auch gar nicht zur Verfügung stehen. Dann wird Liquidität benötigt – und die Eigentümer sind zum Verkauf eines Teils ihres Portfolios gezwungen.
Doch am Markt treten kaum Käufer auf, weil vor allem die institutionellen Investoren – siehe oben – ja ihre Quoten ausgeschöpft haben. Dann freuen sich die Schnäppchenjäger, die sich von starren Quoten nicht ausbremsen lassen. Und wenn sich das Fenster wieder schliesst und sich die Preise wieder normalisieren – was gegen Mitte 2024 wahrscheinlich der Fall sein wird –, werden die Institutionellen mit einem gewissen Neid auf die jetzt aktiven Käufergruppen schauen.
Sich nicht in der starren Quote bequem einrichten
Doch so weit muss es gar nicht kommen. Dazu braucht es aber die Bereitschaft, sich von dem etwas versteiften Verweis auf die Quoten zu lösen. Umgangssprachlich könnte man sagen, dass es an der Zeit ist, die Strassenseite zu wechseln und eine andere Perspektive einzunehmen, die vor allem die Chancen sieht und nach Wegen sucht, diese wahrzunehmen. Das gilt besonders auch im Interesse der Destinatäre, die aufgrund der angestiegenen Inflation mit einem markanten Kaufkraftverlust ihrer Anlageerträge konfrontiert sind.
So sieht die Regulierung in der Schweiz durchaus Möglichkeiten vor, die Quotenregelung anzupassen. Demnach sind Pensionskassen dazu verpflichtet, für ihre Anlagegelder eine angemessene Risikoverteilung zu wahren sowie ihre kurz- und langfristigen Verpflichtungen einhalten zu können. Um das zu erreichen, können sie auch von Quotenregelungen abweichen.
Für die Anlagequoten gilt mit gewissen zwingenden Einschränkungen das Prinzip «Comply or Explain». Also: Erfülle die Vorschriften – oder falls nicht: erläutere, warum. Die Verordnung über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVV 2) bietet diesen Spielraum im Rahmen der Asset- und Liability-Verpflichtungen, freilich solange der Grundsatz einer angemessenen Risikoverteilung und der dauernd gewährleisteten Erfüllung der Verpflichtungen gewahrt wird.
Stiftungsräte sind am Zug
Allerdings ist das ein strategisches Thema, bei dem besonders auch die Stiftungsräte gefordert sind. Sie müssen die entsprechenden Entscheidungen fällen und in ihren Reglements verankern. Und noch davor müssen die entsprechenden Chancen- und Risikobeurteilungen und eine darauf basierende Diskussion initiiert werden.
Zeit also, sich über Chancen zu unterhalten und den grossen Herdentrieb zu hinterfragen. Dazu braucht es nur ein bisschen Mut und Entschlossenheit.