Parlament beschränkt das Verbandsbeschwerderecht bei Wohnbauprojekten
Das Parlament hat beschlossen, das Verbandsbeschwerderecht bei kleineren Wohnbauprojekten im Baugebiet deutlich einzuschränken. Mit dieser Entscheidung sollen insbesondere Einfamilienhaus-Bauherren von Verzögerungen durch Beschwerden entlastet werden. Trotz kontroverser Diskussionen steht fest, Bauvorhaben bis 400 Quadratmeter Geschossfläche bleiben künftig von Verbandsbeschwerden unberührt, was tiefgreifende Auswirkungen auf die Baupraxis hat.
Am 11. September hat der Ständerat eine weitreichende Entscheidung getroffen: Verbände dürfen künftig keine Beschwerden mehr gegen kleinere Wohnbauprojekte im Baugebiet einreichen. Diese Neuregelung betrifft Wohnbauvorhaben mit einer Geschossfläche von bis zu 400 Quadratmetern. Mit einer deutlichen Mehrheit von 30 zu 14 Stimmen sprach sich das Parlament für diese Massnahme aus, die in der Bauwirtschaft eine Welle der Erleichterung, aber auch Kritik ausgelöst hat.
Die Neuregelung, die als «moderate Einschränkung» des Verbandsbeschwerderechts bezeichnet wird, zielt darauf ab, Verzögerungen bei der Realisierung von Bauprojekten zu reduzieren. Vor allem in Zeiten zunehmender Wohnraumknappheit ist diese Entwicklung für Bauherren von grosser Bedeutung. «Das heutige Beschwerderecht wirkt oft wie eine Bremse für die Schaffung von neuem Wohnraum», erklärte Fabio Regazzi (Mitte/TI). «Mit dieser Anpassung reduzieren wir das Machtgefälle zwischen kleinen Bauherren und nationalen Verbänden.»
Weniger Einsprüche gegen Einfamilienhäuser
Kleinere Bauvorhaben, wie etwa Einfamilienhäuser, können durch das neue Gesetz künftig schneller und ohne aufwendige Einsprachen realisiert werden. Dies gilt insbesondere für Projekte innerhalb ausgewiesener Bauzonen. Für viele Bauherren bedeutet dies einen Abbau bürokratischer Hürden und mehr Planungssicherheit.
Beat Rieder (Mitte/VS), Präsident der Kommission für Umwelt und Raumplanung, betonte die Dringlichkeit dieser Anpassung: «Es kann nicht sein, dass selbst kleinste Bauvorhaben über Jahre hinweg durch Beschwerden blockiert werden.» Die Mehrheit im Parlament sieht die Neuerung als dringend notwendige Massnahme, um den Wohnungsbau in der Schweiz zu beschleunigen und den wachsenden Bedarf an Wohnraum zu decken.
Kritiker warnen vor Fehlentwicklungen
Nicht alle Parlamentarier waren jedoch mit der Entscheidung zufrieden. Simon Stocker (SP/SH) warnte davor, dass das neue Gesetz die falschen Ziele trifft. «Es sind in vielen Fällen nicht die Verbände, sondern Nachbarn, die Einsprüche gegen kleine Bauvorhaben einreichen», so Stocker. Die Regelung treffe daher nicht immer die richtigen Akteure.
Auch Umweltverbände äusserten ihre Bedenken. Heidi Z’graggen (Mitte/UR) verwies darauf, dass die bisherigen Regelungen des Natur- und Heimatschutzgesetzes (NHG) eine wichtige präventive Wirkung hatten. Sie warnte davor, dass durch die Neuregelung unerwünschte Schlupflöcher entstehen könnten, die die Bauqualität beeinträchtigen.
Der zentrale Streitpunkt
Ein weiterer Diskussionspunkt war die Obergrenze der Geschossfläche. Während die Mehrheit die vom Nationalrat vorgeschlagene Grenze von 400 Quadratmetern unterstützte, forderte eine Minderheit, diese auf 250 Quadratmeter zu senken. Diese Fläche entspreche eher der eines durchschnittlichen Einfamilienhauses, so Simon Stocker. Doch der Antrag fand keine Mehrheit.
Der Bundesrat befürwortete ebenfalls die 400-Quadratmeter-Regelung. Umweltminister Albert Rösti erklärte, dass diese Grösse auch ein Einfamilienhaus mit Einliegerwohnung ermögliche und somit den Bedürfnissen der Bauherren gerecht werde.
Beschränkung auf bedeutende Ortsbilder und Gewässerräume
Ein weiterer strittiger Punkt in der Vorlage betraf die Ausnahmefälle, in denen Verbandsbeschwerden weiterhin möglich sind. Der Ständerat entschied, dass diese nur bei Bauvorhaben in Gebieten von nationaler Bedeutung zulässig sind. Der Nationalrat hatte ursprünglich «bedeutende Ortsbilder» als Massstab definiert. Die striktere Regelung des Ständerats wurde jedoch mehrheitlich angenommen, ebenso wie die Streichung der Möglichkeit von Verbandsbeschwerden im Gewässerraum, was zu weiterem Widerstand führte.
Céline Vara (Grüne/NE) kritisierte die Entscheidung scharf und warnte vor den ökologischen Risiken: «Bauen in der Nähe von Gewässern kann fatale Folgen haben. Fachleute raten dringend davon ab, und doch wird dieser Schutz durch die neue Regelung gefährlich aufgeweicht.»
Angleichung an das Umweltschutzgesetz
Die Anpassung des Verbandsbeschwerderechts erfolgt auch im Kontext einer Angleichung an das Umweltschutzgesetz (USG). Während das USG bereits Beschränkungen für Beschwerden bei Grossprojekten kennt, war das Natur- und Heimatschutzgesetz bislang in dieser Hinsicht uneingeschränkt. Mit der neuen Regelung wird diese Diskrepanz behoben und eine einheitliche Handhabung von Beschwerden angestrebt.
Ein umstrittener, aber entscheidender Schritt
Die Beschränkung des Verbandsbeschwerderechts bei kleineren Wohnbauprojekten ist ein bedeutender Schritt, der sowohl Bauherren als auch die Immobilienbranche nachhaltig beeinflussen wird. Während die einen von einem dringend notwendigen Abbau bürokratischer Hürden sprechen, warnen Kritiker vor möglichen Fehlentwicklungen und ökologischen Risiken. Die Vorlage wird nun erneut im Nationalrat behandelt – und der Ausgang der finalen Abstimmung bleibt weiterhin spannend.