Hybridbauten aus Holz haben Zukunft
Farblich gestaltete Holzfassaden mit einem speziellen Begrünungskonzept sollen schon bald das Münchner St.-Vinzenz-Viertel prägen. Denn an der Ecke Gabrielenstraße 3 und Rupprechtstraße 22 errichtet der Projektentwickler Bauwerk das Holzhybrid-Ensemble VINZENT für Wohnen und Office. Es ist das erste seiner Art im Münchner Innenstadtgefüge und wird damit zum Vorreiter für innerstädtische, nachhaltige Neubauten zum Leben und Arbeiten. Der Architekt und Stadtplaner Ludwig Wappner vom federführenden Büro allmannwappner erklärt im Interview, warum Holz als Baustoff lange Zeit in Vergessenheit geraten war, was den aktuellen Boom ausmacht und welche innovativen Gedanken und Visionen hinter VINZENT stecken.
Herr Wappner, der Baustoff Holz gehört zu den ältesten in Mitteleuropa. Wir alle kennen Pfahlbauten oder mittelalterliche Fachwerkhäuser. Heutzutage allerdings sind Holzgebäude rar. Seit wann ist Holz vor allem im urbanen Kontext des Bauens in Vergessenheit geraten und warum?
Es ist richtig: Der Baustoff Holz wurde für die Errichtung von Gebäuden früher sehr viel häufiger verwendet. Das liegt vor allem daran, dass Holz in unseren mitteleuropäischen Regionen schon immer ausreichend verfügbar war – auch weil die klimatischen Verhältnisse in Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern das zügige Nachwachsen begünstigen. Durch den enormen Einsatz beim Bauen in den zurückliegenden Jahrhunderten haben Handwerker über viele Generationen hinweg hervorragende Kenntnisse und Fähigkeiten entwickelt, mit diesem Material zunehmend kreativer, geschickter und effizienter umzugehen. Davon profitieren wir noch heute.
Vor allem im städtischen Kontext ist Holz aber im Zuge der Industrialisierung ab Mitte des 19. Jahrhunderts stark in Vergessenheit geraten oder hat als Baustoff industriell gefertigte Konkurrenz erhalten. Maschinell hergestellte Baustoffe wie Ziegel oder Beton wurden zunehmend bevorzugt. Denn sie konnten günstiger, schneller und in großen Mengen produziert werden. Außerdem waren viele unserer Städte früher komplett aus Holz gebaut und sind teilweise in ihrer Geschichte mehrere Male abgebrannt. Holz war daher in den Köpfen der Menschen als Gefahrenquelle verankert. Der bauliche Brandschutz im Zusammenhang mit dichter innerstädtischer Bebauung war also schon immer ein Thema im Städtebau. Im Gegensatz dazu konnten im Industriezeitalter mit brandresistenteren Baustoffen bessere Sicherheitsnachweise und damit auch mehr Vertrauen bei den Menschen erzeugt werden. Das ist einer der Gründe dafür, dass die industriellen Baustoffe das Material Holz gerade im europäischen Städtebau immer mehr verdrängt haben.
Wie erklären Sie sich den aktuellen Boom rund um den Holzbau?
Der Holzbau-Boom wurde eindeutig ausgelöst durch das wachsende ökologische Bewusstsein in der Gesellschaft. Holz als Baustoff ist so attraktiv, weil wir mit einem nachwachsenden, ressourcenschonenden und kreislaufgerechten Rohstoff arbeiten. Mit Holz können wir CO2 in Gebäuden speichern und setzen damit der energetisch aufwendigen Produktion anderer Baustoffe und deren Einsatz ein nachhaltiges und umweltschonendes Statement entgegen. Die CO2-Bilanz von Holz ist im Vergleich zu anderen Baustoffen unschlagbar gut. Aber Holz ist nicht unendlich verfügbar, sodass wir klug mit den Ressourcen umgehen müssen.
Ermöglicht wird der aktuelle Boom zudem durch die umfassende Forschung in den vergangenen Jahren – gerade in Regionen wie Vorarlberg, Graubünden oder Südtirol, aber auch im Schwarzwald und dem Allgäu. Wir verfügen damit heute über ein sehr großes Wissen über das Material, das gepaart ist mit den Jahrhunderte alten überlieferten handwerklichen Erfahrungen. So gibt es mittlerweile hervorragende Möglichkeiten, die Tragfähigkeit und die Widerstandsfähigkeit von Holz gegen Brände in Langzeitversuchen optimal zu testen.
Eine weitere große Rolle spielt die Digitalisierung. Die CNC-Technologie und andere technische Revolutionen waren hier ein echter Quantensprung. Durch technisch basierten Maschineneinsatz kann Holz heute bis auf den Millimeter genau bearbeitet und vorproduziert werden. Das geschieht dann auch direkt in einer Werkstatt, wo die Bauteile im Trockenen vorgefertigt und teilweise schon aufgebaut werden können. Dieser hohe Vorfertigungsgrad von modularen Holzelementen spart viel Zeit und Kosten.
Durch all diese Entwicklungen ist Holz als Baustoff in den vergangenen Jahren wieder sehr spannend geworden – und das Vertrauen in das Material ist enorm gewachsen. Zudem hat Holz auch viele weitere Vorteile, die die Menschen schätzen: Es riecht gut, sieht vertraut aus und fühlt sich angenehm an.