Herausforderungen machen erfinderisch
Im Herbst 2022 experimentierten an der ZHAW in Winterthur 33 Studierende mit dem architektonischen Potential der Wiederverwendung von Bauteilen – und erzielten dabei überraschende Ergebnisse.
Repräsentative Fassade aus gebrauchten Materialien
Die Aufgabe: Ausgerechnet für die Fassade eines prominent am Zürcher Hauptbahnhof gelegenen Verwaltungsbaus sollen einfache, gebrauchte Alltagsmaterialen und -bauteile zum Einsatz kommen. Gleichzeitig will die real am Workshop vertretene Bauherrschaft den Ersatz der Fassade nutzen, um der Liegenschaft einen repräsentativen Ausdruck zu verleihen.
Aus zur Verfügung gestelltem gebrauchtem Material sollen die Studierenden in kleinen Gruppen einen Entwurf für die Fassade erstellen. Sie sollen städtebauliche, konstruktive und atmosphärische Aspekte diskutieren und entwickeln. Und schliesslich sollen sie einen Ausschnitt aus der Fassade in Originalgrösse bauen. Unterstützt und angeleitet werden die Studierenden von ZHAW-Dozierenden und internationalen Fachleuten.
Das Materiallager enthält verschiedene gebrauchte oder übriggebliebene Bauteile. Jede Gruppe bekommt ein anderes Material als Ausgangspunkt für ihre Gestaltungsidee: Spiegel, Stahlgitter, Rasengittersteine, Dachziegel, Profilbleche oder glasfaserverstärkter Kunststoff.
Kreative Lösungen
Die herausfordernde Aufgabe, der Liegenschaft mit einfachen, gebrauchten Alltagsmaterialen einen gestalterisch attraktiven und repräsentativen Ausdruck zu verleihen, führt zu überraschenden Ergebnissen: Die Studierenden deuten Rasengittersteine zu kunstvollen Stilelementen um.
Sie hinterleuchten Kunststoffpaneele, die gleichzeitig einen thermischen Puffer schaffen. Sie arrangieren Dachziegel mit variierenden Reliefs und Lackierungen zu belebten Oberflächen.
Um dem nüchternen Verwaltungsbau Wohnlichkeit einzuhauchen, kombiniert eine Gruppe Studierender französische Balkone mit verzinkten Treppentritten, die zugleich Halt für eine Fassadenbegrünung bieten.
Eine andere Gruppe nutzt Spiegel aus dem kurz zuvor abgerissenen Winterthurer Kantonsspital als schräg eingesetzte Fensterlaibungen und gibt der Fassade damit eine surreal verspielte Anmutung.
Wertschätzung für den Bestand
Die Suche nach Qualitäten im scheinbar Wertlosen verändert den Blick der Studierenden auf den ortsfesten Bestand. Einige Studierende nehmen die Aufgabenstellung so ernst, dass sie sie infrage stellen: Ist ein Ersatz der bestehenden Fassadenelemente, wie er in Realität vorgesehen ist, überhaupt nötig? Kann es gelingen, die bestehende Fassade zu erhalten und für die neue Nutzung umzurüsten? Eine Gruppe Studierender schlägt in ihrem Projekt vor, die bestehende Fassade zu sanieren und das dafür benötigte Gerüst später am Gebäude zu belassen – um damit neue Lebensräume im Aussenraum zu schaffen.
Ganz nebenbei wächst in der Workshop-Woche auch eine Erkenntnis. Die Architektur der Wiederverwendung kann zwar vielfältige architektonische Haltungen und Ausdrucksformen hervorbringen – sie alle gründen aber auf einer gemeinsamen Basis: dem respektvollen und behutsamen Umgang mit bereits gebautem Bestand.