«Die Stadt Winterthur wird oft unterschätzt»

Juni 2023

Im Interview mit Immo!nvest skizzieren der Direktor des House of Winterthur, Samuel Roth, und seine Kollegin Antonietta Lomoro, Projektleiterin Wirtschaftsförderung House of Winterthur, wie sich der Standort Winterthur in den kommenden zehn Jahren entwickeln dürfte, welche Anziehungskraft die Stadt auf Start-ups hat und wie es um den regionalen Tourismus steht.

Herr Roth, Sie haben das Rechtsanwaltspatent, waren als Abteilungsleiter der Financial Intelligence Unit des Fürstentums Liechtenstein in Vaduz tätig und haben das Musikkollegium Winterthur geleitet. Was hat Sie 2020 dazu bewogen, das Amt des Direktors von House of Winterthur anzunehmen?
Samuel Roth: Ich fand es sehr spannend, an der Schnittstelle von Wirtschaft, Bildung, Tourismus und Kultur tätig zu sein und mich so für die Region Winterthur zu engagieren.

Was konnten Sie in den bald drei Jahren seit Ihrem Amtsantritt bewegen?
Roth: Mir war es wichtig, unsere Tätigkeit auf unsere Kernkompetenzen Kommunikation und Vernetzung zu fokussieren. Damit können wir die Region als Technologiestandort, Bildungszentrum und Kulturstadt profilieren. Zu diesem Zweck haben wir ein attraktives Programm mit rund 40 Veranstaltungen pro Jahr auf die Beine gestellt. Besonders beliebt sind die «Tech-Lunches»: Unsere Gäste können jeweils Produktionsbetriebe besichtigen oder die Anlässe zum Thema «House-Kultur» besuchen, in deren Rahmen wir beispielsweise mit unseren Mitgliedern die Winterthurer Musikfestwochen besuchen.

Frau Lomoro, House of Winterthur entstand 2017 aus den beiden Vereinen Winterthur Tourismus und Standortförderung Region Winterthur. Die Stadt fährt damit ein Sondermodell: Themen wie Wirtschaft, Tourismus, Bildung und Kultur sind unter einem Dach vereint. Wo liegen die Vorteile?
Antonietta Lomoro: Die verschiedenen Stakeholder haben in Standortförderungsfragen nur noch einen Ansprechpartner statt wie zuvor zwei. Das Marketing für die Region stammt nun aus einem Guss. Zudem fördern wir die gegenseitige Vernetzung der verschiedenen Anspruchsgruppen.

Welche Synergien konnten durch den gemeinsamen Auftritt erzielt werden?
Lomoro: Arbeitskräfte legen heute mehr Wert auf eine ausgeglichene Work-Life-Balance. Sie schätzen das grossartige Freizeit- und Kulturangebot in der Region Winterthur. Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen achten darauf, dass ihre Mitarbeitenden an einem attraktiven Standort arbeiten können, wo nebst den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auch die Lebensqualität stimmt. Es macht deshalb Sinn, diese Standortvorteile aus einer Hand zu bewerben.

Wie viele Personen beschäftigt House of Winterthur? Wie hoch ist das Budget?
Lomoro: House of Winterthur beschäftigt derzeit 20 Personen in Vollzeitäquivalenten. Das Budget umfasst 3,5 Millionen Franken.

Winterthur verfügt über eine vielfältige Wirtschaft, eine lebendige Altstadt, ein hochkarätiges Kulturangebot und eine angesehene Fachhochschule. Warum muss man eine Stadt, die so viel bietet, noch vermarkten?
Roth: Winterthur ist zwar die sechstgrösste Stadt der Schweiz, wird jedoch oft unterschätzt. Es ist deshalb wichtig, dass House of Winterthur die Qualitäten der Region als herausragender Technologiestandort, praxisorientiertes Bildungszentrum und grossartige Kulturstadt zur Geltung bringt.

Wie kommt House of Winterthur bei der Bevölkerung und den Unternehmen an?
Lomoro: Die Bevölkerung von Winterthur hat 2017 mit einer klaren Mehrheit der Gründung von House of Winterthur zugestimmt. Nach Ablauf der ursprünglichen Subventionsvereinbarung mit der Stadt hat das Stadtparlament die Vereinbarung ohne Gegenstimme um weitere fünf Jahre verlängert. Die Tätigkeit von House of Winterthur stösst bei den Unternehmen auf positive Resonanz, was sich an der regen Beteiligung an unseren Veranstaltungen zeigt.

Wie haben sich die Mitgliederzahlen von House of Winterthur in den letzten drei Jahren entwickelt?
Lomoro: Seit Anfang 2020 ist die Anzahl um 20 Prozent auf insgesamt 420 Mitglieder gestiegen.

«Der Tourismus hat sich seit Corona fast vollständig
erholt»

Wie attraktiv ist Winterthur als Wirtschaftsstandort?
Roth: Wir führen jedes Jahr eine Unternehmensbefragung durch, an der jeweils über 300 Unternehmen teilnehmen. Die letzte Umfrage hat ergeben, dass fast 87 Prozent der Unternehmen eher bis sehr zufrieden mit den Rahmenbedingungen am Standort Winterthur sind. Grund dafür sind die Nähe zu den Hochschulen und die gute Verfügbarkeit von Fachkräften. die Stadt ist auch für Start-ups attraktiv. So findet mit den «Start-up Nights» jährlich der grösste Start-up-Event der Schweiz in Winterthur statt.
Welche Massnahmen treffen Sie, um die Attraktivität weiter zu steigern?
Lomoro: Mit «Winterthur 2040» hat der Stadtrat definiert, wie er Winterthur fit für die Zukunft machen möchte. Unsere Aufgabe ist es, die Vorzüge und Chancen der ganzen Region zur Geltung zu bringen.

Welche Areale, Immobilien sowie Standorte werden seitens der Unternehmen derzeit am meisten gesucht?
Lomoro: Wir haben viele Anfragen bekommen – und zwar für das Sulzerareal in der Stadtmitte und The Valley im Kemptthal. Aktuell stellen wir fest, dass sich das Interesse an Flächen in Neuhegi und im Zentrum von Effretikon stark erhöht.

Welche Regulierungen weisen dringenden Anpassungsbedarf auf?
Roth: Für die Wirtschaft ist jede Regulierung eine zu viel. Manchmal braucht es jedoch Regulierungen, um das Zusammenspiel von Wohnen und Arbeiten zu fördern, um kurze Wege zu ermöglichen sowie eine Belebung des öffentlichen Raums und eine hohe Nutzungsvielfalt zu erreichen.

Wie soll sich der Wirtschaftsstandort Winterthur in den nächsten 10 Jahren entwickeln?
Roth: Die Anzahl der Arbeitsplätze hat sich in den letzten Jahren proportional zum Bevölkerungswachstum von ca. einem Prozent pro Jahr entwickelt. Wir gehen deshalb davon aus, dass nicht nur die Bautätigkeit zu einem weiteren Wirtschaftswachstum beiträgt, sondern sich auch neue Technologieunternehmen in Winterthur ansiedeln werden. Zudem hat unsere Unternehmensbefragung gezeigt, dass fast die Hälfte der befragten Unternehmen in den nächsten Jahren Investitionen planen. Die Region Winterthur sieht deshalb rosigen Zeiten entgegen.

Wie positioniert sich die Stadt im Bereich des Tourismus und auf welchem Stand ist er heute?
Lomoro: Der Tourismus hat sich seit Corona fast vollständig erholt und liegt – gemessen an der Anzahl Logiernächte – nur noch 15 Prozent unter dem Rekordjahr 2019. Zu den wichtigsten touristischen Attraktionen in der Region gehören der Rheinfall, das Technorama, und an dritter Stelle folgt überraschenderweise der Skills Park. Auch der FC Winterthur und die Pfadi Winterthur sind Publikumsmagnete. Die Kulturstadt punktet mit der internationalen Ausstrahlung der Museen, der grossen Vielfalt an Festivals oder den internationalen Kurzfilmtagen sowie dem Casinotheater und dem Musikkollegium Winterthur.

Im letzten Jahr hat House of Winterthur die Anzahl Vorstandsmitglieder reduziert. Was waren die Beweggründe?
Roth: Mit den bis anhin 15 bis 16 Vorstandsmitgliedern war der Vorstand zu gross besetzt. Dadurch konnten sich die einzelnen Vorstandsmitglieder nur ungenügend einbringen. Gemäss Statuten darf nun der Vorstand nur noch maximal 9 Mitglieder aufweisen, was die Effizienz der Vorstandstätigkeit stark erhöht.

Stehen in den kommenden Jahren weitere interne Veränderungen an?
Roth: House of Winterthur ist grundsätzlich auf Kurs. Die Generalversammlung wählt am 25. Mai einen neuen Vorstand. Dieser wird die Strategie überprüfen und allenfalls notwendige Anpassungen vornehmen.

Weitere Artikel