«Die St. Galler Quartiere der Zukunft sollen lebendig, vielfältig und durchmischt sein»
Maria Pappa
Die St. Galler Stadtpräsidentin Maria Pappa verrät im Interview mit Immo!nvest, wo die Entwicklungsgebiete der Stadt liegen und wie St. Gallen bis zum Jahr 2030 aussehen soll.
Zur Person
Maria Pappa wurde 1971 in St. Gallen geboren und ist in der Stadt aufgewachsen. 2016 wurde die Tochter süditalienischer Einwanderer als Stadträtin gewählt, und seit diesem Jahr ist die Sozialdemokratin Stadtpräsidentin der Stadt St. Gallen und leitet die Direktion Inneres und Finanzen. Zuvor führte sie als Stadträtin die Direktion Planung und Bau. Maria Pappa studierte Sozialpädagogik an der Höheren Fachschule für soziale Arbeit in Rorschach. Vor ihrer Wahl leitete sie die geschlossene Abteilung des Jugendheims Platanenhof in Oberuzwil und später die städtische Tagesbetreuung für Schulkinder. Bevor sie in die Soziale Arbeit wechselte, arbeitete die Absolventin der Handelsmittelschule in der Buchhaltungsabteilung einer Versicherung.
Frau Pappa, Sie sind seit Beginn dieses Jahres Stadtpräsidentin und stehen der Direktion Inneres und Finanzen vor. Zuvor leiteten Sie als Stadträtin die Direktion Planung und Bau. Wie haben Sie den Wechsel erlebt?
Nach der Wahl zur Stadtpräsidentin und der anschliessenden konstituierenden Sitzung des Stadtrats ging es sehr rasch; für den eigentlichen Wechsel blieben nur vier Wochen. Die Einarbeitung als Stadtpräsidentin und in der neuen Direktion waren geprägt von der Pandemie: Die meisten Kontakte mit Mitarbeitenden und Externen waren virtuell. Repräsentative Aufgaben gabs nur wenige – und sie beschränkten sich auf Videobotschaften für Online-Anlässe. Diese Verschiebung des persönlichen Austauschs in den digitalen Raum erschwerte insgesamt die sozialen Kontakte und den echten Beziehungsaufbau. Gleichzeitig war ich aber auch weniger durch repräsentative Aufgaben gebunden und konnte mich so in die Projekte und Eigenheiten der neuen Direktion vertiefen.
Weshalb haben Sie sich nach vier Jahren Planung und Bau zum Wechsel der Direktion entschieden?
Die Verteilung der Direktionen ist Sache des Gesamtstadtrats. Gemeinsam haben wir sämtliche Optionen angeschaut und uns für die idealste entschieden. Persönlich war ich gerne Vorsteherin der Direktion Planung. Dort zu bleiben hätte mir gefallen. Nach vier Jahren ist man richtig eingearbeitet, kennt die Projekte und hat viele davon von Anfang an begleitet. Die neue Funktion als Stadtpräsidentin ist jedoch mit vielen Repräsentativaufgaben sowie mit Sitzen in Gremien verbunden. Ein enger Draht zur Stadtkanzlei ist sehr wichtig. Die Erfüllung dieser zusätzlichen Aufgaben mit der gleichzeitigen Leitung der so breit aufgestellten Direktion Planung und Bau ist zeitlich nicht machbar.
Welche Projekte waren für Sie als Vorsteherin Planung und Bau Meilensteine, die Sie begleiten durften?
Als ich die Abstimmungsresultate zur Neugestaltung von Marktplatz und Bohl entgegennehmen durfte, fiel mir ein Stein vom Herzen. Ein konsensfähiges Marktplatzprojekt im dritten Anlauf endlich durchzubringen, war intensive Arbeit. Auch die Neugestaltung der Zürcher Strasse wurde lange Zeit blockiert. Im Jahr 2018 hat das Stadtparlament dem vorgeschlagenen Projekt dann zugestimmt. Nächstes Jahr soll mit der Neugestaltung begonnen werden. Einen Schwerpunkt bildeten die zahlreichen Schul- und Betreuungsprojekte. Hervorzuheben ist hier das grösste Projekt: der Neubau des Schulhauses Riethüsli. Dieser wird im Quartier schon lange erwartet – im November 2020 hat ihn die Stimmbevölkerung genehmigt. Im Hintergrund wurde in diesen vier Jahren auch an vielen wichtigen Strategie-Papieren gearbeitet, darunter Wohnraum-, Freiraum-, Baum- und Innenentwicklungsstrategie. Einige sind relevant für die Revision der Bau und Zonenordnung. Sie alle werden die bauliche Entwicklung der Stadt prägen.
Welche Vorhaben stehen für Sie als Vorsteherin der Direktion Inneres und Finanzen ganz oben auf Ihrer Agenda?
Drei Themen sind momentan aktuell: Ich will St. Gallen als attraktive Stadt bekannter machen und damit das leicht angestaubte, «brötige» Image, das wir selbst von unserer Stadt haben, korrigieren und verbessern. Bei den Finanzen hat St. Gallen zwar eine solide finanzielle Basis. Doch sie weist seit Jahren ein latentes strukturelles Defizit aus, das sich vor allem in der Budgetierung zeigt. Der Aufwand steigt mehr als die Erträge. Ein Ziel wird es deshalb auch sein, dieses strukturelle Ungleichgewicht ins Lot zu bringen. Und schliesslich liegt mir das kulturelle Leben der Stadt am Herzen. Es ist mir ein Anliegen, das im Jahr 2020 verabschiedete Kulturkonzept umzusetzen.
Auf dem Burgweiher-Areal konnte 2020 in einem dicht besiedelten Quartier ein grosses Naherholungsgebiet eröffnet werden. Gibt es ähnliche Landprojekte/Landreserven, die in den nächsten Jahren umgesetzt/entwickelt werden könnten?
Dass wir eine solch grosse Grünfläche mitten in der Stadt der Öffentlichkeit zugänglich machen konnten, ist ein Glücksfall und in dieser Form sicher einzigartig. In den nächsten Jahren geht es denn auch vielmehr um Wohn- und Gewerberaum. Die grossen Entwicklungsgebiete, die die Stadt in den nächsten Jahren beschäftigen werden, liegen einerseits in der Ruckhalde. Hier ist durch die Durchmesserlinie der Appenzeller Bahnen ein Areal freigeworden, das die Stadt insbesondere für die Wohnnutzung entwickeln will. In St. Fiden soll andererseits ein attraktiver neuer Stadtteil entstehen. Das Areal rund um den Bahnhof bietet viel Potenzial für eine innere Verdichtung und eine attraktive Neugestaltung.
In seiner Vision 2030 geht der Stadtrat davon aus, dass die Stadt St. Gallen wächst und sich die Bevölkerung zu einer multikulturellen urbanen Gesellschaft entwickelt. Wie unterstützen Sie als Stadtpräsidentin diese Vision?
St. Gallen hat mit der Wohnraum-, der Innenentwicklungs- und der Freiraumstrategie aufgezeigt, wie sie als starke, innovative und attraktive Stadt in die Zukunft gehen will. In Kürze wird noch die Liegenschaftenstrategie dazukommen. Dieses zukunftsweisende Bild versuchen wir mit der «Sankt»-Kampagne aktiv nach aussen zu tragen. Bereits als Direktorin Planung und Bau waren mir Zusammenarbeit und Partizipation wichtig. Mit der Revision des Partizipationsreglements hat sich die Stadt seit diesem Jahr schliesslich eine Kultur der Partizipation auf die Fahne geschrieben. Dass wir diejenigen, die in dieser Stadt leben, auch künftig miteinbeziehen, wenn es um die Gestaltung dieser Stadt geht, scheint mir selbstverständlich. Zur Partizipation gehört auch, dass wir die Zusammenarbeit und den Austausch mit unserem eigenen Kanton und angrenzenden Kantonen, den Gemeinden und anderen Städten suchen und Synergien pflegen.
Wie sieht die Wohnraumstrategie der Stadt St. Gallen genau aus?
Bei der Wohnraumstrategie geht es vor allem darum, sowohl neuen attraktiven Wohnraum zu schaffen als auch bestehenden Wohnraum zu erneuern. Die Wohnraumstrategie definiert zu diesem Zweck in sechs Handlungsfeldern insgesamt 14 Ziele und 27 Massnahmen. Das Wohnungsangebot soll dabei vielfältig und auf unterschiedliche Zielgruppen zugeschnitten und die Wohnbauentwicklung sozialverträglich umgesetzt werden. Innovative Wohnprojekte wie etwa Mehrgenerationenwohnen und nachfamiliäres Wohnen sind Teil der Strategie. Ein wesentlicher Aspekt der Wohnraumstrategie sind zudem die Quartiere. Die St. Galler Quartiere der Zukunft sollen lebendig, vielfältig und durchmischt sein sowie ein attraktives Wohnumfeld fördern. Die Stadt wählt zur Erreichung dieser Ziele auch hier die Zusammenarbeit und will den Dialog mit Wohnbauakteurinnen und -akteuren fördern.
«
Die künftigen St. Galler Quartiere sollen lebendig und durchmischt sein
»
Welche Herausforderungen bringt der Weg zur «Wohnstadt 2030» mit sich?
Es stellt sich die Frage, wie eine qualitativ gute innere Verdichtung mit attraktiven Freiräumen in Einklang gebracht werden kann. Dass künftig mehr Leute auf dem gleichen Raum leben, soll die Wohn- und Aufenthaltsqualität nicht beeinträchtigen. Erschwerend kommt der Klimawandel hinzu, dessen Auswirkungen vor allem städtische Räume vor grössere Herausforderungen stellen. Es wird darum gehen, mit baulichen Massnahmen insbesondere Hitzeinseln zu vermeiden und die Vernetzung sowie die Biodiversität zu fördern. Bei all diesen Herausforderungen geht es letztlich um die Bewohnerinnen und Bewohner selbst. Ich bin der Überzeugung, dass wir zu besseren Lösungen gelangen, wenn wir das Potenzial der Stadt und ihrer Bewohnerinnen und Bewohner in partizipativen Prozessen ausschöpfen können.
Mit welchen Massnahmen kann die Strategie umgesetzt werden?
Der Massnahmenkatalog der Wohnraumstrategie umfasst 27 konkrete Massnahmen. Das können Analysen von spezifischen Situationen, die Schaffung neuer finanzieller und rechtlicher Instrumente oder konkrete Bauprojekte sein. Letztlich geht es darum, die Grundlagen und Rahmenbedingungen zu schaffen, dass sich die Stadt in die durch die Wohnraumstrategie aufgezeigte Richtung entwickeln kann.
Welche Vorzüge hat die Stadt für ansiedlungswillige Firmen und für Neuzuzüger?
St. Gallen verfügt über ein vielfältiges Angebot, das sich sehen lassen kann. Die Stadt steht für Bildung, Kultur und Innovation. Gleichzeitig ist die Lebensqualität dank der Lage in prächtiger Natur zwischen Säntis und Bodensee und mit einer Fülle an kulturellen und gastronomischen Angeboten einzigartig. St. Gallen ist eine Stadt der kurzen Wege, die die Vernetzung und das sich Organisieren einfacher macht als in grösseren Städten. Für Unternehmen und besonders auch Privatpersonen überzeugt St. Gallen durch ihre Kompaktheit sowie ihre ideale Mischung zwischen Urbanität und Naturnähe. Als Bildungsstandort mit der weltweit renommierten Universität St. Gallen (HSG) und OST Ostschweizer Fachhochschule verfügt St. Gallen über viele kluge und gut ausgebildete Köpfe. Die Stadt ist zudem damit beschäftigt, diverse Areale vornehmlich im Westen zu entwickeln und neuen Nutzungen von Gewerbe, Industrie und Forschung zuzuführen.
Wo muss sich die Stadt noch verbessern, wenn sie noch attraktiver werden will?
Auch wenn die Stadt sich naturgemäss in vielen Bereichen verbessern kann, wie beispielsweise bei spannenden Wohnangeboten, so braucht sich St. Gallen, wie ich finde, keineswegs zu verstecken. Viele Vorzüge und attraktive Angebote der Stadt sind aber schlicht zu wenig bekannt. Es ist dies mit einer der Gründe, weshalb wir die Vermarktungskampagne gestartet haben.
Das St. Galler Energiegesetz enthält neue, bauliche Massnahmen, die sich auf den Energieverbrauch in Neubauten und in bestehenden Häusern auswirken. Seit dem 1. Juli 2021 gelten die neuen Bestimmungen. Welches sind die wichtigsten Änderungen für Eigentümer von Wohn- und Geschäftsliegenschaften?
Der Nachtrag zum Energiegesetz orientiert sich an den Klimazielen des Bundes, den CO2-Ausstoss bis 2030 zu halbieren. Neubauten sollen deshalb künftig auf erneuerbare Energien setzen und einen Teil ihres Strombedarfs durch Eigenproduktion abdecken. Für bestehende Liegenschaften gelten neue Vorgaben beim Ersatz einer bestehenden Heizung. Entweder soll auf Heizsysteme mit erneuerbarer Energie umgestellt oder aber durch bessere Dämmung Energie eingespart werden. Das Amt für Baubewilligungen berät Eigentümerinnen und Eigentümer gerne.
Wie haben sich die Grundstückgewinnsteuern in jüngerer Zeit entwickelt? Wie wird es in der näheren Zukunft weitergehen?
Die Grundstückgewinnsteuern haben sich fast verdreifacht. Das hängt vor allem mit den gestiegenen Immobilienpreisen zusammen. Wir haben in den letzten Jahren einen sehr aktiven Immobilienmarkt erlebt. Immobilien haben sich mangels Alternativen als gute Investitionsmöglichkeit erwiesen. In der Zukunft wird die Entwicklung abhängig sein vom Anlagemarkt und den Zinsen. Ich gehe davon aus, dass der jetzige Trend noch ein wenig anhalten wird.