Die Kunst der Raumgestaltung – Zürichs Weg in die Zukunft

Mai 2024

Die Direktorin der Raumplanung der Stadt Zürich, Katrin Gügler, gibt in einem Interview einen umfassenden Einblick in ihre vielfältigen Aufgaben. Mit ihrem interdisziplinären Team arbeitet sie an der Entwicklung Zürichs mit dem Ziel, die hohe Lebensqualität trotz des städtischen Wachstums zu erhalten und nachhaltige Lösungen zu fördern. Herausforderungen wie Wohnraumknappheit und Klimawandel stehen bevor, doch innovative Bauprojekte und effiziente Nutzung von Raum und Ressourcen gelten als Schlüssel für eine zukunftsfähige Entwicklung.

Sie sind Direktorin der Raumplanung der Stadt Zürich. Können Sie uns einen Überblick Ihre Zuständigkeiten geben?
Gemeinsam mit meinen MitarbeiterInnen, plane ich als Direktorin des Amts mit an der Zukunft der Stadt Zürich. Um die Chancen einer Stadt im Wandel ideal zu nutzen, haben Fachbereiche bei uns wie Architektur und Planung, dazu gehören Archäologie, Denkmalpflege, das Baugeschichtliche Archiv oder ein Kompetenzzentrum für Geoinformationen. Der Austausch bietet uns einen sehr genauen Blick auf Zürich – von seiner Vorgeschichte bis 2040.

Welche Ziele verfolgt die Stadt- und Raumentwicklung in Zürich und welche Rollen übernehmen Sie in der Standort- und Arealentwicklung?
Wir möchten die hohe Lebensqualität in der Stadt Zürich nicht nur erhalten, sondern ausbauen. Sie soll sich punktuell verbessern können, ökologisch wie sozial nachhaltig. Dazu benötigt es geeignete nutzungsplanerische Instrumente – da sind wir bei der Erarbeitung und Weiterentwicklung federführend.

Der kommunale Richtplan für Siedlung, Landschaft, öffentliche Bauten und Anlagen ist dabei essenziell. Mit ihm konkretisieren wir, welche Gebiete für die bauliche Verdichtung geeignet sind. Zudem bezeichnen wir Flächen für die Versorgung mit öffentlichen Freiräumen sowie für kommunale öffentliche Bauten und Anlagen – etwa für die Volksschule oder für Sportnutzungen. Darüber hinaus ist er ein wichtiges Koordinationsinstrument, da er aufzeigt, wie die bauliche Dichte mit dem Verkehr und Angebot an erneuerbarer Energie abgestimmt werden muss und er macht Vorgaben für weitere räumliche Aspekte einer umwelt- und sozialverträglichen Stadtentwicklung.

Vor welchen Herausforderungen steht die Stadtentwicklung, im Vergleich zu anderen Schweizer Städten und welche Vorteile bietet Zürich?
Zürich teilt sich viele Herausforderungen mit anderen Städten in der Schweiz und Europa. Das Wachstum und der einhergehende Bedarf nach Wohnraum stehen im Fokus, wobei vor allem preisgünstiges Wohnen in der Stadt gesichert werden muss. Der demographische Wandel und die Pluralisierung der Lebensstile bringen eine Vielfalt an Wohnformen und Wohnraumbedürfnissen – denen wir begegnen müssen.

Neben einer sozialräumlich verträglichen Verdichtung ist das Klima zentral. Rund ein Viertel aller CO2-Emissionen stammt aus dem Gebäudesektor. Städtische Planung und Architektur muss heute klima- und umweltfreundlich sein, Ressourcen schonen und Landschaften bewahren können. Neben dem Klimaschutz müssen wir Hitzeinseleffekte eindämmen.
Was wir im Gegensatz zu anderen Städten nicht mehr haben, sind freie Industrieareale zur Umnutzung. Die Dichte verstärkt die verschiedenen Interessen an Flächen und Gebäuden einer Stadt. Ausserdem steht Zürich als Wirtschaftsmotor der Schweiz unter besonderem Blick der Öffentlichkeit. Planerische Entscheidungen erfordern die politische Diskussion – Mitsprache wird eingefordert. Findet keine Debatte statt, wird bei etlichen Neubauten rekurriert.

Was sind die bedeutendsten Bauprojekte in Zürich und wie tragen sie zur Stadt und Raumentwicklung bei?
Ich zähle hier die Planung mit dazu. Beispielsweise das Josef-Areal, das Schlachthof-Areal, das Seeufer Wollishofen oder das Papierwerd-Areal. Sie sind aufgrund der zuvor angesprochenen Flächenknappheit von Bedeutung für die Zürcher Stadtentwicklung. Daraus entsteht die anspruchsvolle Aufgabe, diese Areale planerisch nachhaltig und effizient zu nutzen.
Die Stadt baut auch selbst – besonders preisgünstigen Wohnraum. Allein die Wohnsiedlungen Leutschenbach und Tramdepot Hard, werden über 550 Wohnungen bieten. Bei der Thurgauerstrasse oder dem Koch-Areal vergibt die Stadt Bauland an gemeinnützige Wohnbauträger.

Im Zusammenhang mit solchen Grossprojekten ist die Planung der dazugehörigen sozialen Infrastruktur wichtig. Insbesondere die Bereitstellung von genügend Schulraum, Kulturbauten wie das Schauspielhaus oder Opernhaus, sind gesamtstädtisch bedeutend.
Ergänzend zu den benannten Arealentwicklungen und Bauten gehören die Aktualisierung der Hochhausrichtlinien sowie die Revision der Bau- und Zonenordnung, zu den bedeutendsten Aufgaben, mit denen die Zürcher Stadtplanung betraut ist. Bei diesen Planungsinstrumenten geht es darum, den Umgang mit dem Denkmalschutz bzw. Inventar und dem ISOS zu finden und diesen mit den angestrebten baulichen Entwicklungen zu vereinbaren.

Welche Gebiete in Zürich sind besonders attraktiv für Unternehmen und warum?
Das ist stark abhängig von der Grösse und Art des Unternehmens, jedes Unternehmen definiert seine individuellen Anforderungen an die Standortwahl. Für einen Konzern, der sein eigenes Areal langfristig weiterentwickeln und ausbauen möchte, gelten sicherlich andere Standorte als attraktiv, als für ein KMU, das auf eine Entwicklung innerhalb des Quartiers abzielt.

Grundsätzlich sind in Zürich alle Quartiere attraktiv, da überall eine gute Erschliessung mit dem ÖV gegeben ist. Hier hat es eine positive Entwicklung im Vergleich zu den letzten Jahren und Jahrzehnten gegeben – eine eigentliche «Peripherie» kennt Zürich nicht mehr.

Wo sehen Sie noch Entwicklungspotenzial und wie könnte dieses erschlossen werden?
Potenzial gibt es in der Zusammenarbeit mit den Nachbargemeinden. Eine der Besonderheiten der räumlichen Planung liegt darin, dass sie nicht an der Stadtgrenze endet , auch wenn diese Grenzen einen politischen Wechsel bedeutet. Beispiele hierfür sind der Limmatraum oder das Glattal mit dem gemeinsamen ÖV-Service. Dort gilt es, die Planung über die Grenzen hinweg gemeinschaftlich zu koordinieren, um das Angebot und die Vernetzung der Quartiere zu sichern.

Potenzial besteht auch in der Abstimmung mit dem Kanton oder Bund, was u.a. die Themen Lärm und ISOS betrifft. Bundesweite oder kantonale Vorgaben haben in einer Stadt wie Zürich eine grosse Auswirkung. In einer engeren Abstimmung mit dem Städteverband sehe ich grosses Potenzial.

Wie positioniert sich Zürich im Bereich der Mobilitätsentwicklung und -planung?
Im kommunalen Richtplan steht bei der städtischen Mobilität ein effizienter und gut ausgebauter ÖV sowie die Weiterentwicklung von funktionsfähigen und attraktiven Stadt- und Strassenräumen im Fokus. Wir streben eine Stadt der kurzen Wege an. Die Quartierzentren werden gestärkt und Neue entwickelt. Für die Wohnbevölkerung wird es attraktiver, sich vor Ort zu versorgen, der Detailhandel eröffnet neue Läden im Quartier, da er auf KundIinnen zählen kann.

Es zeigt sich in den Zahlen zur Mobilität, dass die Stadtbevölkerung vermehrt auf Velo und ÖV setzt. Insbesondere der Fuss- und Veloverkehr werden städtisch gezielt gefördert. Die Stadt berät mit dem Programm «Impuls Mobilität» ganz gezielt Unternehmen und Liegenschaftsverwaltungen.

Hat die Pandemie Veränderungen in der Planung von Zürich bewirkt?
Der öffentliche Raum hat während der Corona-Pandemie an Bedeutung gewonnen. Gerade für Kinder und Jugendliche, die auf Freiräume im direkten Wohnumfeld angewiesen sind. Insgesamt gesehen haben die Individualverkehrsmittel Fuss, Velo und Auto bei der Verkehrsmittelwahl mehr Gewicht erhalten, während der ÖV wegen möglicher Ansteckungsgefahrengemieden wurde. Es gilt, die positiven Effekte der Pandemie wie die Velonutzung und Glättung der Verkehrsspitzen durch vermehrtes Homeoffice, in die Zukunft mitzunehmen.

Pandemie und mobile Arbeitsweise haben Veränderungen gebracht, deren stadtplanerischen Auswirkungen wir erst in ein paar Jahren sehen werden. Vom Home-Office-Trend profitieren in Zürich vor allem auch die Quartierzentren. In der Pandemie waren schnelle Erreichbarkeit von Einkauf, Gesundheitseinrichtungen, Sportzentren, Gastronomie und Grünräumen, die keinen öffentlichen Transport erforderten zentral. Dem Bedürfnis nach lebenswerter Stadträumen muss zukünftig mehr Rechnung getragen werden.

Welche Faktoren machen Zürich zu einem attraktiven Wohnort?
Zürich ist attraktiv und bietet eine hohe Lebensqualität. Das hat viele Gründe: Etwa das breite und attraktive Angebot von Betreuungs- sowie Kultureinrichtungen, attraktive Freiräume, Bildungsstätten, gute Infrastrukturen und die hohe architektonische Qualität. Anziehend ist auch die Lage am See und die Nähe zur Natur. Trotz reger Bautätigkeit ist es gelungen, dass die Stadtquartiere ihre Identität nicht verloren haben. Das ist meiner Meinung nach eine grosse Stärke unserer Stadt.

Wie stellen Sie sich die ideale Entwicklung der Stadt Zürich vor?
Was wären die Kernelemente?

Ideal ist in diesem Kontext die falsche Formulierung, eine ideale Entwicklung gibt es nicht. Vielmehr ist die Stadtplanung dynamisch und wird massgeblich durch politische Entscheidungen beeinflusst. Sie muss kontinuierlich auf die aktuellen und zukünftigen sozialräumlichen wie ökologischen Belange reagieren. Es ist wichtig, dass wir eine gemeinsame Vorstellung davon haben, was Zürich sein soll und wie es sich zukünftig entwickeln soll. Der Kommunale Richtplan formuliert ein Zielbild, von einer differenzierten baulichen Verdichtung über genügend Freiräume für die Erholung bis hin zu den Zentren und Infrastrukturen der Stadt. Darunter gibt es unzählige kleinerer Ebenen, Projekte und Ereignisse, die Teil der Stadt im Wandel sind. Zürich hat viel Potenzial, das es durch die Stadtplanung zu sichern und zu nutzen gilt. Nicht von heute auf morgen, sondern auch für künftige Generationen von ZürcherInnen.

Zur Person

Katrin Gügler absolvierte ihr Studium an der ETH Zürich und gründete gemeinsam mit Regula Stahl ein Architekturbüro in Zürich und Basel. In den Jahren 2007 bis 2016 war sie als Dozentin an der ETH Zürich tätig und als Expertin für Diplomarbeiten an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Zusätzlich gehörte sie von 2007 bis 2016 der Geschäftsleitung des Amtes für Städtebau in Winterthur an. Seit 2017 ist sie die Direktorin des Amtes für Städtebau.

Weitere Artikel