Die Komplexität der Branche steht der Digitalisierung im Weg
Markus Weber ist unter anderem Mitinitiator und Präsident von «Bauen digital Schweiz» sowie Mitinitiator und Vorstandsmitglied von «netzwerk_digital». Im Gespräch mit Immo!nvest erklärt er, wie es um die Branche beim Thema Digitalisierung steht und wo er die grössten Potenziale ausmacht.
Zur Person:
Markus Weber ist ein ausgewiesener Experte für das digitalbasierte Planen, Bauen und Betreiben von Bauobjekten. Als Mitinitiator und Präsident von «Bauen digital Schweiz» hat er die digitale Transformation der Schweizer Bau- und Immobilienwirtschaft nachhaltig geprägt. «Bauen digital Schweiz» ist zugleich «home of buildingSMART Switzerland» und damit Teil der weltumspannenden internationalen BIM Community. Als Mitinitiator und Vorstandsmitglied vom «netzwerk_digital» engagiert er sich national für einen geordneten und effi-
zienten Weg der Schweiz in die Digitalisierung. Er ist zudem Co-Studiengangleiter für die Bachelorstudiengänge BA/BSc Digital-Construction und das Weiterbildungsprogramm CAS/DAS/MAS Digital Construction an der Hochschule Luzern (HSLU).
Herr Weber, was fasziniert Sie am Thema Digitalisierung?
Sie bietet riesige Chancen und stellt neue Technologien beziehungsweise Werkzeuge zur Verfügung. Digitalisierung bedeutet Vernetzung: Damit können wir Prozesse effizienter und mit höherer Qualität sowie Auswirkung auf die Nachhaltigkeit umsetzen. Emissionen werden reduziert, und die Kreislaufwirtschaft wird gefördert. Zudem schaffen digitale Technologien beziehungsweise diese neuen Werkzeuge attraktivere Arbeitsplätze, was dem Fachkräftemangel entgegenwirken dürfte.
Welche Ziele verfolgt «Bauen digital Schweiz»?
Wir möchten ein digitales Ökosystem schaffen, in dem Daten, Technologien, Prozesse und Methoden vernetzt werden und miteinander interagieren. Wir vernetzen die verschiedenen Stakeholder entlang der Wertschöpfungskette, koordinieren und schaffen Synergien. Wir machen «Practice» sichtbar und moderieren den Weg von der «Practice» Schritt für Schritt hin zur «Best Practice».
Womit beschäftigt sich «netzwerk_digital»?
Der Vorstand arbeitet seit einem guten Jahr daran, eine Vision oder besser gesagt ein gemeinsames Ziel für die Schweizer Bauwirtschaft zu skizzieren. Ein erster Entwurf steht Anfang 2023 zur Verfügung. Damit möchten wir mit den weiteren Stakeholdern in Dialog treten und an der Swissbau im Januar 2024 eine konsolidierte Version der Öffentlichkeit vorstellen.
Die Baubranche gilt als einer der am wenigsten digitalisierten Wirtschaftszweige. Woran liegt das?
Unter anderem liegt das an der Fragmentierung – wir finden hier eine sequenzielle Wertschöpfungskette vor, die durch viele unterschiedliche Akteure geprägt ist. Diese vielen Schnittstellen, die Rahmenbedingungen und die zunehmenden Gesetze und Vorschriften stellen eine grosse Komplexität dar. Deshalb braucht die Digitalisierung in dieser Branche länger als anderswo.
PropTech ist zurzeit in aller Munde. Übertreibt die Immobilien- und Baubranche bei diesem Thema?
Im Kontext der Digitalisierung entstehen viele kleine Unternehmen, die sich auf neue Produkte fokussieren, Prozesse vereinfachen und die Nachhaltigkeit fördern. Das ist einerseits ein Segen, weil diese Unternehmen mit neuem Wissen und viel Leidenschaft die Digitalisierung vorantreiben. Andererseits ist die Bauwirtschaft mit den daraus resultierenden heterogenen Möglichkeiten und Werkzeugen überfordert.
Wie wirken Sie dem entgegen?
Unsere Aufgabe ist es, den Umgang mit diesen neuen Werkzeugen und deren Möglichkeiten zu erlernen. Ich bin unter anderem Co-Studiengangleiter für die neuen Bachelorstudiengänge BA/BSc Digital Construction an der Hochschule Luzern – die Vermittlung dieses Wissens und der Umgang mit den digital basierten Prozessen, Methoden und Technologien sind ein wichtiger Teil des Studiengangs.
Die Schweiz bestimmt das Thema open BIM auf internationaler Ebene mit. Darf man sagen, dass BIM in der Schweiz heute zum Standard gehört?
Diese Frage ist schwierig zu beantworten. Ich schätze, dass BIM bei etwa 30 Prozent der Neubau- und Umbauprojekte zum Standard gehört. Das heisst umgekehrt: Bei 70 Prozent tut es das nicht. Zu den Anwendern von BIM gehören mehrheitlich professionelle Bauherren und vor allem solche, die den gesamten Lifecycle im Fokus haben – also die entwickeln, planen, bauen und am Ende auch betreiben. Ein gutes Beispiel sind Spitäler – praktisch alle Schweizer Spitalneubauten werden mit BIM geplant. Allerdings ist BIM nicht gleich BIM: Hier gibt es grosse Unterschiede in der Implementierungstiefe und Nutzung. Und vor allem viel Luft nach oben.
Sie haben einmal gesagt, dass Schweizer BIM-Projekte ihr Potenzial nicht ausschöpfen. Hat sich das inzwischen geändert oder – was ist nötig, um eine Veränderung zu bewirken?
Wir stehen noch immer am Anfang der Digitalisierung in der Bau- und Immobilienwirtschaft. Insofern sehe ich sehr viel Potenzial nach oben. Wir müssen die erwähnte komplexe Wertschöpfungskette näher zusammenbringen und vernetzen. Am Ende geht es um durchgängige und datenbasierte Prozesse. Hier befinden wir uns in einem Kulturwandel: Die Kultur heute ist geprägt von Abgrenzung und Absicherung: Jeder Akteur bearbeitet seinen Teil der Wertschöpfungskette. Digitalisierung bedeutet, dass jeder Akteur zum Teil dieses durchgängigen Prozesses wird. Um diesen Kulturwandel weg von der Abgrenzung hin zum Miteinander nachhaltig voranzutreiben, benötigen wir einfach noch etwas Zeit.
Wo stufen Sie die Schweiz im Bereich «smart home» ein, und wo sehen Sie noch Verbesserungspotenzial?
Der Begriff «smart home» ist nicht klar definiert. Für mich ist ein «smart home» ein Gebäude, das die vielfältigen Anforderungen der Zukunft bestmöglich erfüllt: Dazu gehört primär, dass ein Gebäude als System verstanden wird. Die einzelnen Disziplinen wie beispielsweise Wärmedämmung, Heizung und Lüftung sind optimal aufeinander abgestimmt, und das Gebäude reagiert automatisch auf innere und äussere Einflüsse. Das Gebäude wiederum ist Bestandteil von übergeordneten Systemen: So sind zum Beispiel heute viele Gebäude imstande, selber Energie zu produzieren und damit Teil des Energieversorgungssystems Schweiz.
Sie engagieren sich für das «Gebäude als System» mit Fokus auf die Energiestrategie 2050. Wie kann man sich das in der konkreten Umsetzung vorstellen?
Kurz zusammengefasst: Das Gebäude ist ein System und ist gleichzeitig in verschiedene Systeme integriert. Es muss die verschiedensten Anforderungen erfüllen: Die einzelnen Disziplinen müssen optimiert zusammenarbeiten – gleichzeitig ist das Gebäude in Systeme int -egriert. Auch die Kreislaufwirtschaft ist als geschlossenes System zu betrachten, wobei die einzelnen Gebäude zum Teil dieses Systems werden.
Können Sie das ausführen?
Die in einem Gebäude verbauten Materialien können mit Hilfe von digitalen Technologien inventarisiert werden und so wird der Gebäudepark Schweiz zum strukturierten und maschinenlesbaren Materialdepot. Wenn ein Gebäude oder ein Teil davon zurückgebaut wird, können so die verbauten Materialien geordnet in den Kreislauf zurückgeführt, allenfalls aufbereitet und wieder verbaut werden.
Wie sensibel ist die Schweizer Baubranche heute beim Vermeiden von grauer Energie, und wie lässt sie sich bei Bauprojekten weiter reduzieren?
In diesem Bereich gibt es grosses Potenzial, wie das vorherige Beispiel zur Kreislaufwirtschaft zeigt. Beim Bauen wird viel Abfall produziert, der nicht in den Kreislauf zurückgeführt wird. Die digitale Planung beziehungsweise digitale Gebäudemodelle helfen dabei, einerseits das benötigte Material präziser zu bestimmen und andererseits so vorzufertigen, dass beim Verbauen praktisch kein Abfall entsteht. Ein Beispiel hierzu ist die modellbasierte Planung, Vorfertigung und Verlegung der Bewehrung von Betonkonstruktionen, womit der Abfall von Bewehrungs-Eisen wesentlich reduziert wird.
Wie sieht für Sie das ideale Gebäude der Zukunft aus?
Mein Gebäude der Zukunft muss nachhaltig mit dem Siedlungsraum umgehen, darf keine Emissionen emittieren und muss aus Materialien bestehen, die beim Rückbau einfach getrennt und gegen 100 Prozent in den Kreislauf zurückgeführt werden können. Das Raumkonzept sollte in einem gewissen Masse wandelbar sein und sich an verändernde Bedürfnisse der Bewohner anpassen können. Es muss mit den Bewohnern kommunizieren: Sind beispielsweile alle für die nächsten acht Stunden bei der Arbeit oder in der Schule, muss der Energieverbrauch automatisch auf ein Minimum reduziert werden. Auf eine kurzfristige Stromunter- oder Überproduktion soll es intelligent reagieren können.