Real Estate Brains: Führt Corona zur Immobilienkrise?
Über die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie auf den Immobilienmarkt diskutierten bekannte Köpfe der Immobilienbranche im neu lancierten Online-Forum «Real Estate Brains». Initiiert wurde das Format von Swiss Circle, SwissPropTech sowie Builtworld.
«Real Estate Brains» heisst das neue Online-Format von Immobilienprofis für Immobilienprofis aus der DACH-Region, welches ein Gemeinschaftsprojekt von Swiss Circle, SwissPropTech und Builtworld ist. Die erste Ausgabe stiess auf reges Interesse: 140 Branchenprofis verfolgten am Dienstagmorgen online die Referate von Dr. Christoph Schumacher, Global Head Real Estate bei Credit Suisse Asset Management, Thomas Schnabel, Rechtsanwalt und Partner bei Osborne Clarke sowie Dr. Stefan Fahrländer, Gründer und Partner von Fahrländer und Partner. Durch die kurzweilige Stunde führte Roman H. Bolliger, CEO Swiss Circle.
«Die Spreu trennt sich vom Weizen»
Den Anfang machte Dr. Stefan Fahrländer von Fahrländer und Partner. Er hielt fest: «Der Lockdown hat massive Auswirkungen auf die Staatshaushalte und grossen Einfluss auf die Nutzer- und Transaktionsmärkte.» Grundsätzlich verhielten sich die Länder ähnlich. Die Regulierung werde nicht abnehmen – im Gegenteil: «Es besteht die Gefahr, dass die Regulierung stärker zunehmen wird wie auch die Besteuerung.»
Man müsse zwischen kurzfristigen und mittelfristigen Wirkungen unterscheiden, sagte Fahrländer. Kurzfristig, das heisst bei einer Dauer von 2-3 Monaten, dürfte sich der Wohnflächenmarkt in der DACH-Region rasch wieder erholen. Die primären Auswirkungen werde man im gehobenen Segment spüren. Der Geschäftsflächenmarkt hingegen sei von Ausfällen und Reduktionen bei Mietzinseinnahmen betroffen. «Hier ist mit kurzfristigen Ertragsausfällen zu rechnen», sagte Fahrländer. Bei einer kurzen Dauer könne der Leerstand bei Geschäftsflächen steigen und das Konsumverhalten sowie die Büroraumnachfrage eine leichte dauerhafte Verschiebung erfahren. Bei den Transaktionsmärkten würden die laufenden Deals aber weitergehen. Die Budgetziele 2020 sollten erreicht werden können.
Anders sieht es gemäss Fahrländer bei einer Dauer der Krise von 6 Monaten und mehr aus: Der Wohnflächenmarkt dürfte dann zusammenrücken, es sei vor allem in der Peripherie mit Leerständen zu rechnen. Der Geschäftsflächenmarkt sähe sich mit massiven Ausfällen durch Konkurse und Kapazitätsabbau konfrontiert. Das Konsumverhalten und die Büroraumnachfrage würden sich durch einen langanhaltenden Lockdown dauerhaft stark verschieben. Fahrländer hielt fest: «Die Spreu trennt sich vom Weizen. Die Risikoaversion drückt auf Bauland- und Projektpreise. Wer verkaufen muss, muss Preisnachlässe gewähren. Teilweise werden Aktien- und Rohimmobilien vom Markt genommen, da jetzt nicht der richtige Zeitpunkt ist.»
Die Gretchenfrage formulierte Fahrländer so: «Wie lange dauern die Einschränkungen an?» Wie stark die Rezession sein werde und wie man die Verschuldung weginflationieren könne, bleibe abzuwarten. Er ist aber positiv gestimmt, dass die Immobilienbranche trotz allem gut wegkommen werde. Denn Immobilien könnten sich tatsächlich als «das Betongold» von morgen erweisen, wie Roman H. Bolliger festhielt.
«Es wird Anpassungen im Bürosektor und im Einzelhandel geben»
Die durch das Coronavirus verursachten massiven Einschränkungen in der Real-Estate-Branche hat Dr. Christoph Schumacher, Global Head Real Estate, Credit Suisse Asset Management, zunächst unterschätzt. Heute sagt er: «Die Volatilität an der Börse sehen wir auch in den Immobilienmärkten. Mit dem Lockdown waren wir als Branche vor allem im Einzelhandel und im Hotelbereich eingeschränkt.» Schumacher ist grundsätzlich derselben Ansicht wie Fahrländer: «Wir müssen mittel- und langfristige Konsequenzen unterscheiden.» Im Moment sehe er, dass die meisten Transaktionen, die begonnen wurden, auch zu Ende gebracht werden. «Gerade beim Core-Immobiliengeschäft werden die Massnahmen erfreulicherweise so umgesetzt, wie sie schon vor der Krise beschlossen wurden.»
Zurückhaltung sieht Schumacher aktuell bei neuen Transaktionen. Es gebe aber auch solche, die in der Krise Opportunitäten sehen: «Vor allem Familienbetriebe und Anleger, die auf erstaunlich viel Liquidität sitzen, steigen jetzt in den Immobilienmarkt ein.» Dabei seien vor allem börsennotierte Immobilien von Interesse und gerade in den volatilen Märkten von England und Asien sehe man derzeit Discounts von bis zu 40 Prozent und mehr. Bei den nicht börsennotierten Immobilien, wo die Credit Suisse sehr aktiv ist, seien die Möglichkeiten beispielsweise aufgrund der Lock-up-Perioden beschränkt. In Deutschland sei bei den Immobilienfonds durch die gesetzlichen Vorgaben mit den verlängerten Rückgabefristen weniger Druck zu spüren, was sei sehr positiv sei.
Ein wichtiger Aspekt bei der Credit Suisse sind die Mieter. Die Wohnmietportfolios seien nicht betroffen, aber man habe das eine oder andere Shoppingcenter, wo gerade kleinere Mieter im Einzelhandel unter Druck stehen. Vielen habe man deshalb die Aprilmiete erlassen, sagte Schumacher. «Das war eine einmalige Aktion, um den Mietern Zeit zu verschaffen und die Interessen der Anleger zu wahren, indem drohenden Insolvenzen entgegengewirkt werden konnte.» Für Anleger mache der Erlass weniger als 1 Prozent der Mieterträge aus. Schumacher ist überzeugt: «Die Zeit nach der Krise wird eine andere sein. Wir selber haben trotz vieler Sparmassnahmen das Digitalisierungsbudget hoch gelassen. Wir glauben das PropTec und Digitalisierung langfristig verstärkt auf der Agenda stehen. Es wird Anpassungen im Bürosektor und Einzelhandel geben. Alles in allem werden wir gestärkt rausgehen und auch mittelfristig rechnen wir mit mehr Interesse im Immobiliensektor.»
«Die Rechtslage ist schwierig»
Thomas Schnabel, Rechtsanwalt und Partner bei Osborne Clarke, ist aktuell « an der Front ». Er leitet den Sektor Real Estate and Infrastructure in Deutschland. Zu seinen Mandanten zählen unter anderem Fondsgesellschaften, Projektentwickler, und Einzelhandelsunternehmen sowie eine Vielzahl von Unternehmen als Mieter. Deshalb bekommt er derzeit viel von der Mieterseite mit.
In Deutschland hat der Bundestag erlassen, dass Vermieter von April bis Juni keine fristlose Kündigung aufgrund Zahlungsverzugs aussprechen können, wenn der Mieter seine Miete wegen der Coronakrise nicht bezahlen kann. «Hier sehe ich vor allem die Gastronomie, Hotellerie und den Einzelhandel betroffen», führte Schnabel aus. Er sieht aber auch das Problem der Vermieterseite. In England beispielsweise würden die Mieten quartalsweise anfallen. «Ende März wären die Mieten für das 2. Quartal 2020 fällig gewesen. Bezahlt ein Mieter nicht, fehlen hier also Einnahmen für ein ganzes Quartal.»
In Deutschland sei Aussetzen das Wort der Stunde: «Viele verzichten im April auf die Miete.» Ob die Miete ganz erlassen oder gestundet werde, müsse individuell entschieden werden. «Die Rechtslage ist in Deutschland extrem schwierig. Es gibt keine klaren Richtlinien», sagte Schnabel. Die Diskussion unter den Juristen drehe sich aktuell immer um dieselben Themen: Zur Mietminderung würde zum einen das Vorliegen des Mangels an der Mietsache berechtigen. Beruht die Schliessung auf einer behördlichen Anordnung, sei für die Mietminderung entscheidend, ob die Anordnung einen Mangel an der Mietsache darstelle. Und als dritte Option komme die Mietminderung aufgrund Einschränkung der Gebrauchsüberlassung in Frage.
«Mittlerweile werden von den Juristen Entscheide von 1915 ausgegraben und anhand dieser versucht, die damaligen Urteile auf heute zu translatieren», so Schnabel. Für den Rechtsanwalt ist klar: «Anstatt am Ende die Gerichte entscheiden zu lassen, wer die besseren Argumente hat, müssen wir gemeinsam Lösungen suchen und diskutieren, was man kurz-, mittel- und langfristig macht.»