Ostschweiz als «hidden champion»

St. Gallen, Dezember 2021

Die Ostschweiz erwacht. Verschiedene Entwicklungsareale rutschen nach langer Zurückhaltung nach und nach in die Startblöcke. Was der Ostschweiz nur noch fehlt, sind professionelle Promotionsstrukturen. Ein Underdog mit Potenzial.


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Die Ostschweiz ist sicherlich der Landesteil mit dem grössten Entdeckungspotenzial. Entwicklungsgesellschaften haben diesen Landesteil längere Zeit gemieden und entdecken nach und nach dessen Vorzüge. Die Wachstumsraten wirkten lange hemmend. Doch im Kern schwelt unter der Ostschweiz ein Vulkan, der nur noch gezündet werden muss.

Entwicklungsareale von West bis Ost
Die Ostschweiz bietet im Themenbereich Arealentwicklung zahlreiche Perlen, die entdeckt werden können. So schlummert direkt beim Bahnhofgebiet Frauenfeld eine Konversionsfläche der Schweizer Armee. Besonderer Fokus liegt im Kanton Thurgau aber aktuell auf dem Entwicklungsgebiet in Wil-West bei Münchwilen, wo in Zukunft auf rund 200’000 Quadratmetern Gewerbe- und Industrienutzungen, aber auch Dienstleistungsfunktionen ihr Zuhause haben sollen. Gleich in der Nähe steht der Industrie-Gewerbepark «G-Werk Bronschhofen» für neue Firmen bereit. Auch der Standort Uzwil hat mehrere Perlen aufzuweisen. Beim Benninger Areal wurde kürzlich die Wohnüberbauung Birkenhof mit Supermarkt, Fitness-Studio und Kinderhort realisiert. Mit dem CUBIC wurde auf dem Areal der Bühler AG ein Innovations-Campus errichtet, der internationales Renommee verdient. Die Stadt Gossau setzt in der Sommerau mit dem Ausbaugebiet der Aepli Metallbau AG neue Akzente. Auch im Entwicklungsgebiet St. Gallen-West/Gossau-Ost (ASGO) schlummert ein (noch) schlafender Riese: Dort sollen primär Gewerbe- und Industrienutzungen, aber auch Dienstleistungsfunktionen und Wohnen entwickelt werden. Das Lerchenfeld-Areal St. Gallen ist der neue Standort des Innovationsparks Ostschweiz, Standort von EMPA und dem Business Incubator Startfeld. Hier werden Wirtschaftsflächen für Start-ups und das Hochtechnologiesegment bereitgestellt. Erste Ansätze für eine Wiederbelebung des Güterbahnhof-Areals in St. Gallen sind erkennbar, aufgrund von übergeordneten Planungen zur Verkehrserschliessung (neuer Zubringer A1) ist das Gebiet mittelfristig nicht verfügbar. Dafür ist der «Lattich» ein nationales Anschauungsobjekt für erfolgreiche Zwischennutzungen. Ebenfalls in St. Gallen findet sich im Bereich Geissberg/Altenwegen-Ost ein Areal für Logistik- und Gewerbenutzungen. Beim Bahnhofareal St. Fiden wird derzeit die Machbarkeit einer Überdeckung von Autobahn wie Gleisfeld evaluiert. Mittelfristig wird an diesem Ort ein neuer Stadtteil mit Nutzungen für Forschung, Bildung, Dienstleistungen und Wohnen entstehen. Brach liegt dafür das Areal Bahnhof Nord direkt beim Hauptbahnhof St. Gallen. Nach einer Testplanung hat der Kanton ein Moratorium für weitere Planungsschritte erlassen und will das Gebiet für seine Bildungsinstitutionen reservieren. Auch beim Bahnhofareal Herisau werden verschiedene Büro- und Wohnnutzungen mit direkter Lage an den Bahngeleisen entwickelt, einhergehend mit der Neugestaltung des Bahnhofs.

Attraktiver Bodenseeraum, Technologiehub Rheintal
Von Interesse ist aber auch der gesamte Bodenseeraum. Der Oberthurgau bietet etwa mit Arbon und dem Saurer Werk II mit seinen bestehenden Werkhallen, die momentan von klein- und mittelgrossen KMU aus Industrie, Produktion und Dienstleistung genutzt werden, grosses Potenzial für weitere Umnutzungen. In Zukunft soll hier ein interessanter Mix aus Wohn-, Lebens- und Arbeitsräumen entstehen. Zahlreiche Wohnüberbauungen – so etwa im Raduner Areal in Horn – werden weitere attraktive Wohnmöglichkeiten mit mehr oder weniger direktem Anstoss zum Bodensee bieten. In Rorschach werden auf dem Feldmühle Areal zahlreiche Neubauwohnungen und Gewerbenutzungen entstehen – direkt beim Stadtbahnhof mit besten Anschlüssen von Zürich bis München. Zu erwähnen sind aber auch die Entwicklungen in St.Margrethen, wo der Neubau des Produktionswerks der Stadler Rail deutlich Sogwirkung auslöst – Gewerbe- wie Wohnbau ziehen in der Gemeinde an. Mit dem Innoparc in Heerbrugg besitzt die Ostschweiz schliesslich einen Hotspot für die optisch-mechanische Industrie. Hier ist ein Verdichtungsprojekt in Planung. Zu erwähnen ist auch das Bahnhofareal in Buchs, wo es einen rechtskräftigen Überbauungsplan gibt. Die Konkurrenzsituation in der Region Ostschweiz bleibt insgesamt überschaubar – doch der Entwicklungsdrang ist erwacht.

Ansiedlungswüste Ostschweiz mit Potenzial
Die Ansiedlungen in der Ostschweiz sind in den letzten Jahren überdurchschnittlich eingebrochen. Denn für weltweit erfolgreiche Firmen rund um Technologien oder wissensbasierte Unternehmensfunktionen war die Ostschweiz bislang nicht erste Wahl. Die Gründe sind vielfältig. Der Kanton St. Gallen hat es verpasst, die Fahrzeiten vom Kantonshauptort in umliegende Zentren zu beschleunigen. Auch die unvorteilhafte direkte Besteuerung von Privaten wie Unternehmen ist wenig hilfreich. Es fehlte zudem an Entwicklungsflächen, die nun aber aufbereitet werden. Etwas besser steht da der Kanton Thurgau, über den die Entwicklung von Zürich über Frauenfeld Richtung Bodensee schwappt. Auch die beiden Halbkantone Appenzell Inner- und Ausserrhoden profitieren von Zuzügen vermögender Personen aus dem Grossraum St. Gallen. Sie sind aber für die Entwicklung der Arbeitsplätze kaum relevant.

Vermarktung mit Potenzial
Der fehlende Erfolg im Ansiedlungsgeschäft der Ostschweizer Kantone hängt denn auch an einer bewusst gewählten Lücke: Der Ostschweiz fehlen schlagkräftige Vermarktungsstrukturen, welche im Ausland wirken. Wer im Standort der Wettbewerbe punkten will, muss innert vier bis 48 Stunden bei den Interessenten sprichwörtlich «auf der Matte stehen» und seine Vorzüge präsentieren. Deshalb haben andere Landesteile schlagkräftige, kantonsübergreifende Vermarktungsstrukturen (Greater Areas) geschaffen, welche zusammen mit dem Schweizer Landesmarketing Jahr für Jahr für eine Auffrischung ihrer Unternehmenslandschaft sorgen. Die Ostschweiz betreibt zwar eine Area unter dem Brand «St. GallenBodenseeArea», diese hat aber weder Budget noch Wirkung. Direktinvestitionen wären auch für die Ostschweiz eine Art Frischzellenkur. Neue Technologien, Talente und internationale Strukturen beschleunigen die Erneuerung einer Wirtschaftsstruktur. Und je mehr moderne und sinnstiftende Jobs es gibt, umso mehr Talente werden von einem Standort angezogen.

Die Ostschweiz ist auf dem Weg dorthin; zögerlich zwar, aber mit immer besseren Argumenten – und vor allem Potenzialflächen.

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