«Das Limmattal ist mehr als eine Alternative zu Zürich»

Oktober 2020

Unter der Leitung von Jasmina Ritz gelang es der Limmatstadt AG in den letzten sechs Jahren, zahlreiche Mitstreiter für die Idee einer Limmatstadt zu gewinnen und gleich mehrere Meilensteine zu erreichen. Das Potenzial ist damit aber noch lange nicht ausgeschöpft.

Vor 6 Jahren wurde die Limmatstadt AG lanciert. Wo sehen Sie Ihre Kernaufgaben als Geschäftsführerin?
Ich versteh mich als Dienstleisterin und Botschafterin für die gesamte Region von Baden bis Zürich, innerhalb des Limmattals und darüber hinaus. In meinem Job bin ich immer unterwegs und bringe Menschen und Ideen über die Kantonsgrenze hinweg zusammen. Netzwerk ist das A und O. Ich beliefere Standortinteressenten mit Informationen, öffne Türen, bringe mich in Komitees ein oder treibe Projekte voran.

Welche Meilensteine haben Sie Stand heute erreicht?
Die Limmatstadt AG hat sich zu einer relevanten Partnerin und regionalen Akteurin etabliert. In den vergangenen Jahren gelang es, wichtige Mitstreiter für die Idee Limmatstadt als vernetzter und starker Lebens- und Wirtschaftsraum zu gewinnen: zunächst Firmen als Aktionäre, zahlreiche Gemeinden als Auftraggeber, dann kam der Planungsverband dazu und verschiedene Netzwerkpartner. Über Publikumsaktien kann sich auch die Bevölkerung beteiligen. Mit dem Aufbau und Betrieb von diversen Kommunikationskanälen – vom Printmagazin «36 km» über das digitale 3D-Limmatstadtmodell bis zum täglichen «punkt4»-Wirtschaftsnewsletter – erreichen wir die Region.

Welche Ziele werden als Nächstes angegangen?
Es ist von zentraler Bedeutung, die Kräfte weiter zu bündeln und die Ressourcen sinnvoll einzusetzen. Sprich: Kooperationen einzugehen, wo es sinnvoll ist sowie den Wert unserer Plattformen und Netzwerke noch deutlicher zu machen, um weitere Gemeinden und Partner zu gewinnen. Wer sich in der Limmatstadt niederlassen will oder eine Projektidee verfolgt, muss wissen, dass er bei uns an der richtigen Adresse ist. Zudem ist Image wichtig im Standortwettbewerb. Hier gilt es, die Vorzüge der Gesamtregion in Szene zu setzen.

Die Limmatstadt AG hat Anfang 2019 die Funktion der Standortförderung Limmattal, dem damaligen Verein der Zürcher Limmattaler Gemeinden, übernommen. Wie wichtig war dieser Schritt?
Dieser Schritt war zentral. Die Standortförderung des Vereins hörte an der Kantonsgrenze auf. Unser Wirkungsbereich ist die gesamte Region. Die komplexen Herausforderungen machen nicht an Kantonsgrenzen Halt. Der Auflösung ging ein breit abgestützter Strategieprozess voraus. Die Erkenntnis: Mit der privatwirtschaftlichen Limmatstadt AG ist eine Organisation mit Leistungsausweis vorhanden, deren Aufbau privat finanziert wurde und eine nahtlose Nachfolge sichert. Die Gemeinden haben neu Leistungsvereinbarungen mit uns, sind also unsere Kunden, und profitieren unter dem Strich von wesentlich mehr Leistung für das gleiche Geld.

«Wer sich in der Limmatstadt niederlassen will, ist bei uns an der richtigen Adresse.»


Wie beliebt ist das Limmattal punkto Firmenansiedlungen?
In der Region gibt es über 80’000 Arbeitsplätze, die bis 2040 rund 30 Prozent zunehmen sollen. Aufgrund der regen Bautätigkeit können wir ideal gelegene Flächen insbesondere für Retail und Dienstleistung bieten. Die bevorzugte Lage, die Nähe zu führenden Bildungs- und Forschungseinrichtungen und die gute Erschliessung machen den Standort äusserst attraktiv. Mit der Limmattalbahn erhalten wir einen städtischen Verkehrsträger und noch bessere Verbindungen. Das wird auch Unternehmen anziehen, die bisher das Limmattal nicht auf dem Radar hatten.

Für wie realistisch halten Sie eine Fusion der Gemeinden Schlieren, Urdorf und Dietikon in den kommenden 15 Jahren?
Unbestritten ist, dass die Gemeinden in Zukunft die Zusammenarbeit intensivieren müssen, denn Probleme von regionaler Tragweite können von kommunaler Ebene allein kaum bewältigt werden. Aber ich glaube nicht, dass Fusionen in jedem Fall einen Gewinn bringen. Wenn wir die Kleinteiligkeit in unserer Region anschauen, könnte ein Zusammenschluss gerade kleineren Gemeinden durchaus zu mehr Kraft verhelfen. Doch eine Grossfusion halte ich nicht für realistisch. Es gibt aber fusionswillige Gemeinden im Aargauer Limmattal: Die Gemeinde Turgi strebt eine Fusion mit der Stadt Baden an.

Viele Einwohner fürchten bei einer Fusion um ihre Identität.
Dieses Argument ist immer schnell zur Hand. Nur weil man sich zu einer politischen Einheit zusammenschliesst, muss die lokale Verankerung nicht verloren gehen. Es kann auch eine neue Zugehörigkeit entstehen. Jede Veränderung birgt Verlust und Gewinn. Die Frage ist, was überwiegt. Mit einem frühzeitigen, offenen Dialog kann es der Politik gelingen, die Bevölkerung abzuholen, zu spüren, wo der Schuh drückt und Chancen aufzeigen. Es braucht auch Mut von einem Gemeinderat, dieses heisse Eisen anzurühren. Wie das Beispiel von Turgi zeigt, kann das durchaus erfolgsversprechend sein.

Was sagen Sie zum Einwand, dass für eine Limmatstadt die Geschichte und Vergangenheit fehle und das Limmattal deshalb nie eine einheitliche Stadt werden könne?
Jede Geschichte hat einen Anfang. Wieso kann der Wandel von einer Agglomeration zu einem städtischen Raum nicht im 21. Jahrhundert starten und für kommende Generationen identitätsbildend sein? Ich finde es eher absurd, dass wir uns heute noch an politischen Grenzen orientieren, die über 200 Jahre alt sind. Das Limmattal ist bereits eine räumliche Einheit – verbunden durch die Limmat und eingebettet in Hügelzüge mit Wäldern und Rebbergen. Bald verbindet das Tram die Region und die Menschen noch mehr. Beste Voraussetzungen, damit eine neue Zusammengehörigkeit entstehen kann.

Die Limmattalbahn ist im Bau. Gerade bei Anwohnern des Limmattals war das Projekt umstritten. Hatten Sie mit dieser Reaktion gerechnet?
Eine lokale Betroffenheit lässt immer die Emotionen hochgehen. Von der Heftigkeit war ich überrascht. Auch das ist ein Beispiel, wie wichtig es ist, bei regional bedeutsamen Projekten den Dialog eng mit der lokalen Bevölkerung zu führen. In der ersten Kampagne ist das schief gelaufen. Aber in der zweiten Abstimmung sprach sich dann das Limmattal grossmehrheitlich für den Bau aus. Die Limmattalerinnen und Limmattaler haben verstanden, dass eine halbe Limmattalbahn keinen Sinn macht.

«Es ist ein gutes Zeichen, dass Bund und Kantone an unsere Region glauben und Millionen investieren.»

Weshalb braucht das Limmattal die Limmattalbahn?
Die Bahn bedeutet eine langfristige Aufwertung für die ganze Region. Es ist ein Generationenprojekt. Ein Argument lautete immer wieder: Busse tun es auch. Aber ein Bus ist kein Bekenntnis zu einer Region. Die Limmattalbahn, das sind Schienen, die man für die nächsten Jahrzehnte in den Boden verlegt. Jede Haltestelle ist eine Keimzelle, wo Neues entstehen kann. Da, wo ein Tram entlangfährt, entsteht Stadt. Es ist ein gutes Zeichen, dass Bund und Kantone an unsere Region glauben und Millionen investieren.

Besteht da nicht die Gefahr, dass das Gebiet zu sehr mit Wohnungen, Arbeitsstätten und Strassen zugepflastert wird?
Im Gegenteil: Die Bahn hilft, das Wachstum zu kanalisieren und bestimmte Orte zu schonen. Deshalb fährt die Limmattalbahn nicht entlang der dörflich geprägten rechten Limmatseite. Das würde Entwicklungs-
schübe auslösen, die man dort nicht haben will. Die Bahn fährt da entlang, wo heute schon das grösste Potenzial vorhanden ist, wo die meisten Leute leben, wo der Verkehr fliesst und noch brachliegende Grundstücke wie das Dietiker Niderfeld liegen.

Im Limmattal wird sehr viel gebaut. Schlieren beispielsweise hat sich bereits stark verändert. Auch in Dietikon sind völlig neue Quartiere entstanden. Wird das Baupotenzial bald ausgeschöpft sein?
Die grossen Limmattaler Industriebrachen sind heute umgenutzt in Stadtquartiere. Künftig geht es mehr um die Entwicklung nach innen. Wir müssen umsichtig mit dem beschränkten Boden umgehen. Letztlich ist das höchst ökologisch. Eine pulsierende und attraktive Stadt braucht eine gewisse Dichte an Menschen, Angeboten und Nutzungen. Auch der Verkehr gehört dazu, der private wie öffentliche. Gerade ein cleveres Veloroutennetz im flachen Talboden kann verstopfte Strassen entlasten. Dieses Potenzial ist noch längst nicht ausgeschöpft.

Kann sich das Limmattal mit dem Glatttal messen?
Keine Frage, wir sind die beiden attraktivsten Boom-Regionen. Ich beneide die Flughafenregion und ihren Geschäftsführer Christoph Lang um einige Firmen, die wir auch gerne als Steuerzahler hätten. Gleichzeitig bin ich froh, beschäftigt uns die Flughafen-Thematik nicht so intensiv. Als Standort-Organisationen sind wir allerdings unterschiedlich aufgestellt. Die Flughafenregion ist ein sehr erfolgreiches Wirtschaftsnetzwerk mit unzähligen Events rund ums Jahr. Unser Fokus hingegen liegt auch auf der Gesellschaft und Stadtentwicklung.

Wie tief ist der Gedanke einer «Limmatstadt» in den Köpfen der Limmattaler Bevölkerung verankert?
Wenn Sie jetzt eine Strassenumfrage machen würden, wäre das Ergebnis wahrscheinlich ernüchternd. Die einen würden sagen, das ist Zürich, die anderen Baden. Und genau darauf bauen wir ja auf: Wir deuten den Begriff Limmatstadt neu und laden ihn positiv auf. Er dient perfekt als Klammer für die Region zwischen zwei starken Polen. Dabei stellen wir das Limmattal nicht an die Ränder von zwei Kantonsgebieten, sondern in deren Zentrum.

Mit welchen Massnahmen soll diese Wahrnehmung weiter unterstützt werden?
Indem wir konsequent daran arbeiten, die Region mit all ihren Vorzügen bei der Wohnbevölkerung ebenso wie bei Firmen und Ansiedlungsinteressenten noch besser bekannt zu machen. Dafür brauchen wir alle Gemeinden hinter uns und eine laufend wachsende Trägerschaft. Wir spüren, dass sich unsere Idee immer mehr verankert. In Spreitenbach hat zum Beispiel kürzlich der grösste Coworking Space der Schweiz unter dem Namen «Office LAB Limmatstadt» eröffnet. Der Begriff Limmatstadt soll genau dieses zukunftsgerichtete neue Selbstverständnis nach aussen tragen.

Wie soll das Limmattal in fünf Jahren von der Bevölkerung wahrgenommen werden?
Als ein Ort, wo man hingehen will, eine Destination. Das Limmattal ist mehr als eine Alternative zu Zürich. Es soll wahrgenommen werden als selbstbewusste Region, die es geschafft hat, ihr ödes Aggloimage abzustreifen und sich zu einem attraktiven städtischen Raum zu wandeln, der mit seinen Gegensätzen und Eigenheiten immer wieder überrascht. Die Entwicklung des letzten Jahrzehnts ist beneidenswert – auch die Erneuerung. Es könnte auch anders sein: Stillstand oder Abwanderung – das wären Probleme. Wir können uns mit der Dynamik wahnsinnig glücklich schätzen und definitiv positiv in die Zukunft blicken. ■

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